von Frank-Manuel Peter

Vera Mahlke war die älteste Tochter von Hans Mahlke, Professor an der Berliner Hochschule für Musik und 1. Solobratscher an der Staatsoper, und seiner Ehefrau Erna Mahlke, die wegen der Familiengründung ihr Schauspielstudium abbrach.

1919 - 1934/35

Im Alter von sechs Jahren begann 1919 Vera Mahlkes Ballettunterricht bei Mary (Marie) Zimmermann, der damaligen Ballettmeisterin am (städtischen) Deutschen Opernhaus. Bald durfte sie als Kind in Balletteinlagen von Opern oder in Ballettabenden mitwirken. Mit 12 Jahren erhielt sie bei Katharina Devillier Ballettunterricht, die als Mitglied der Ballets Russes de Diaghilew u.a. 1921 in Paris in der Uraufführung des Balletts Le Chout getanzt hatte. Mit 14 Jahren wechselte sie zu Victor Gsovsky und Max Terpis, hatte täglich nach der Schule Training und wirkte oft abends in Aufführungen mit, um sich die Tanzausbildung zu finanzieren.

Laut einem im Juni 1981 selbstverfassten Lebenslauf kam sie im Alter von 17 Jahren ins erste Engagement am Stadttheater Bremen, wo ihr Vertrag aufgrund ihrer besonders guten Ausbildung nach kurzer Zeit in den einer Solotänzerin umgewandelt wurde und sie nach drei Monaten wegen Erkrankung der Ballettmeisterin auch die Ballettleitung übernehmen musste. Nach einer eigenen Fußgelenksoperation zog sie zurück nach Berlin und trainierte erneut bei Victor Gsovsky, ergänzt durch Akrobatikunterricht bei Tatjana Gsovsky und Dorothea Albu. Als Solotänzerin trat sie in dieser Zeit in Victor Gsovskys erstem Programm im Berliner Wintergarten auf. Eventuell schon 1931/32, spätestens aber für die Spielzeiten 1932/33 und 1933/34 wurde Vera Mahlke als Solotänzerin ans Stadttheater Zürich verpflichtet (Ballettmeister: Helmuth Zehnpfennig). Wie schon in Bremen übernahm sie in Zürich auch Unterricht und Einstudierungen für Kinder. Ihr erster solistischer Tanzabend fand 1933 in Zürich statt.

Für die Spielzeit 1934/35 wechselte sie als Solotänzerin (neben der Ballettmeisterin Lina Gerzer und Helene alias Hella Heim) ans Württembergische Staatstheater Stuttgart, wo sie bis zum Sommer 1936 blieb. Am 10. März 1935 gab sie ihre erste solistische Tanzmatinee im Kleinen Haus des Staatstheaters zu Kompositionen u.a. von Mussorgsky, Scriabine, Grieg und Debussy. Die musikalische Leitung hatte ihr Vater inne. Mit dem Kinderballett studierte sie im November 1935 ihre erste größere Gruppenchoreographie Die Bimmelbahn, Eine Fahrt ins Land der tanzenden Kinder ein. Die einleitenden Verse verfasste und sprach ihre jüngere Schwester Ellen Mahlke, die zu dieser Zeit als Schauspielerin am Staatstheater engagiert war (ihre Laufbahn führte sie von Zwickau über Detmold, Stuttgart, Dortmund, Memel und Mannheim zum Schlossparktheater in Berlin). Nach Auseinandersetzungen zwischen Intendanz, Ballettmeisterin und Solotänzerin V. M.  (lt. Lebenslauf monierte die BM, dass Vera Mahlke ein möbliertes Zimmer bei Juden bewohnte) wechselte Vera Mahlke zur nächsten Spielzeit nach Dresden.

1936/37 - 1941

Für die Spielzeiten 1936/37 bis 1940/41 war Vera Mahlke als 1. Solotänzerin an die Staatsoper Dresden verpflichtet. Hier tanzte sie in quasi allen Ballettaufführungen der Oper in diesen Jahren und  gab auch immer wieder eigene Tanzabende. Leonie Dotzler befand in den Dresdner Neuesten Nachrichten: „Vera Mahlkes frische blonde Jugend nimmt für sie ein. Zu einer soliden Technik gesellen sich Vielseitigkeit, Bühnensicherheit, Musikalität, Temperament, Liebenswürdigkeit und eine besondere Begabung fürs Groteske.“ (15. Januar 1937). In den Sommerpausen gab sie auswärtige Gastspiele oder wirkte beispielsweise mit der Kindertanzgruppe der Staatsoper im Juli 1937 bei einer Sommernachtstraum-Aufführung in der Felsenbühne Rathen mit. Auch in einer Freilichtaufführung der Bayerischen Staatstheater München von Glucks Don Juan als Tanzspiel in der Choreographie von Otto Ornelli wirkte sie im August 1937 (neben Willi Schulte-Vogelheim) als Gast mit. Zu den bedeutenden Ballettabenden in Dresden zählten sicher im Oktober 1937 Valeria Kratinas Choreographien zu den Balletten Landsknechte (Julius Weismann), Das Kartenspiel (Igor Strawinsky) und Die Gaunerstreiche der Courasche (Richard Mohaupt). Als Solisten tanzten neben Vera Mahlke Gino Neppach, Hilde Schlieben, Robert Mayer, Linnie Ferrik (Ferrick) und Alice Uhlen. Solistisch gastierte Vera Mahlke beispielsweise am 13. Februar 1938 in der Volksbühne Berlin. „In vielen ihrer mit ursprünglicher Vitalität vorgetragenen, bewegungs- und ausdrucksmäßig vielseitigen und klar charakterisierenden Schöpfungen macht sich eine ausgesprochene Neigung zu heiterer Komik und humorvoller Groteske geltend, die immer durch natürliche, spielerische Grazie und tänzerischen Geschmack vor einem Abgleiten ins Übertriebene bewahrt werden“, urteilte Fritz Böhme in der D.A.Z. (14. Februar 1938). Beda Prilipp zählte sie im Berliner Lokal-Anzeiger „zu den seltenen Erscheinungen, denen die feingeschliffene Technik nichts von ihrer urwüchsig sprühenden Tanzfreude genommen hat.“ (15. Februar 1938).

Im Juli 1941 führte Vera Mahlke im Rahmen der Zwinger-Serenaden der Dresdner Philharmonie als eigene choreographische Uraufführung (auch der Musik von Nino Neidhardt) ein Tanzfestspiel Tanzendes Barock auf. Zu ihren Solisten gehörten Dore Hoyer und Karl Bergeest, zur Tanzgruppe Gundel Eplinius und Hanni (Johanna) König (die sehr viel später in der Werbung als „Klementine“ sehr bekannt wurde). Mit diesen Tänzern fing Vera Mahlke zur Spielzeit 1941/42 als Tanzmeisterin und Solotänzerin am Theater des Volkes (Stadttheater zu Dresden) an. Die Programme dieses Hauses waren während des Krieges in den letzten beiden Spielzeiten vor der Schließung der Theater volkstümlicher gehalten, als in der Oper. „Eine ganze Bühne walzt“, überschrieb Leonie Dotzler eine Rezension des ersten, Strauß gewidmeten Ballettabends (Dresdner Neueste Nachrichten, 23. Februar 1942). Und Dr. Hugo Heurich von den Dresdner Nachrichten beschrieb einzelne Bilder, unter denen eines die Walzerlebensfreude unterbrach: „Eine alte Frau wird von der Erinnerung ins Land ihrer Jugend getragen. Dore Hoyer charakterisierte mit sehr fein abgewogenen Bewegungen das Alter, ohne Übertreibung das Wiederjungwerden und das Zurücksinken in milde Resignation. Eine sehr schön ausgeglichene Leistung!“ Im Mai 1943, als Dore Hoyer bereits nicht mehr dabei war, hatte Vera Mahlke noch ein sehr erfolgreiches Programm mit dem Titel Getanzte Malerei mit Tänzen nach Gemälden berühmter Meister (van Dyk, Botticelli, Degas, Spitzweg, Slevogt u.a.). Die Uraufführung fand im Berliner Ufa-Palast am Zoo statt.

1943 -1952/53

Es folgen ab Herbst 1943 (lt. Lebenslauf) mehr als 300 Gastpiele mit dem eigenen Ballett Vera Mahlke im Krystall-Palast Leipzig (Getanztes Porzellan, nach Figuren von u.a. Kändler und Paul Scheurich), Friedrichsbau-Theater Stuttgart, Wintergarten Berlin etc.  Am 13. Februar 1945 verlor Vera Mahlke beim Bombenangriff auf Dresden das Inventar ihrer Wohnung und alle Kostüme. Anfang Mai 1945 begab sie sich westwärts auf die Flucht bis Rochlitz. Dort entstand unter einfachsten Voraussetzungen ein neues Programm Frauenprofile mit kleiner Gruppe, mit der sie in kleineren Städten Sachsens auf Tournee ging. Es folgten vergebliche Versuche, in Berlin Fuß zu fassen, wo sie in einer Ruine „wohnte“ und sich Hungerödeme und Erfrierungen zuzog. Mit kleineren Auftritten versuchte sie sich den Lebensunterhalt zu finanzieren und wurde u.a. für ihre Arbeit als Ballettmeisterin am Operettentheater im Rathaus Schöneberg wegen eines Konkurses nicht bezahlt. Ein erfolgreiches Intermezzo stellte ihre Tätigkeit am Theater des Tanzes Weimar unter Henn Haas mit Tänzern wie Olinto Lovaël und Bert Commerell im Frühjahr 1946 dar. Aber erst im Landestheater Potsdam ab 1950 konnte sie wieder für längere Zeit erfolgreich choreographisch arbeiten. Zwischendurch bekam sie, die Grenzgängerin zwischen Westberlin und der „Ostzone“, ein Angebot, das erste Tanztheater der DDR aufzubauen, was sie wegen der Bedingung politischer Ausrichtung der Inhalte jedoch ausschlug.

In der Spielzeit 1952/53 wurde Vera Mahlke als Ballettmeisterin nach Trier verpflichtet, fand dort aber ein äußerst kleines Ensemble vor und kündigte nach Streitigkeiten mit dem Intendanten. Von Berlin aus ging sie in ein Engagement ins Flensburger Theater, wo sie mit nur zwei geprüften Tänzerinnen und einigen Elevinnen arbeiten sollte. Trotz Erfolg beim Publikum kündigte sie nach Auseinandersetzungen mit dem Intendanten über die mangelnde Unterstützung ihrer künstlerischen Absichten. Sie eröffnete in Flensburg eine Berufsausbildungsschule, konnte von der Ausbildungsklasse jedoch nicht existieren. Nach kurzer Zeit stellte sie ihre Ballettschule auf Laientanz und Gymnastik um und führte diese Arbeit für mehrere Jahrzehnte mit großem Erfolg fort.