Tanz und Raum – diese Verbindung ist so offensichtlich, dass wir sie beim Besuch eines Tanzabends kaum mehr bewusst wahrnehmen. Und genau dies ist der Anlass, warum das Deutsche Tanzarchiv Köln diese Verbindung in den Mittelpunkt einer Ausstellung stellt. Ganz im Sinne eines Archivs, das seinen Nutzern über die Tagesaktualität hinaus Wissen um Tanz, Wissen um gewesene und gegenwärtige Zusammenhänge vermitteln will. Ganz im Sinne eines Museums, das seine Besucher dazu anregen will, zu erkunden, wie sich heute und gestern gegenseitig beleben und wie das eine mit dem anderen verwoben ist – eines Museums, das seine Besucher dazu anregen will, Wirklichkeit mit „anderen Augen“ zu sehen

Wer das will, der muss sich Fragen stellen. Und die bildeten wie bei jeder der Ausstellungen dieser Trilogie auch den Ausgangspunkt der kuratorischen Arbeit an „In Räumen denken“: Was sehen wir, wenn wir Tanz sehen? Wie prägen Elemente wie Körper, Raum und Mensch unser Bild vom Tanz? Warum sehen wir Tanz so, wie wir ihn sehen?

Ausgehend von diesen Fragen haben Thomas Thorausch und Klaus-Jürgen Sembach eine Ausstellung mit einem speziellen Format entwickelt. Eine Ausstellungs- installation, die in einem einzigen Raum spielt. Und in diesem all jene Aspekte zusammenführt, die prägend für unser Bild vom Raum im Tanz sind, aber eben auch für die Vielfalt der Farben und Formen stehen, die dieses Bild bestimmen. Eine Installation, die sich  - von einer Ausnahme abgesehen – durchweg aus dem reichhaltigen Bestand des Deutschen Tanzarchivs Köln speist. Eine Ausstellung, die aus dem Geist des Spiels geboren ist.

Dabei hat das Gegen- und Nebeneinander Methode: da trifft ein Kupferstich mit einer Theateransicht aus dem Jahr 1616 auf das Foto einer Tanzperformance aus dem Jahr 2003, da stoßen die Räume einer Choreographie von William Forsythe auf die historische Ansicht eines japanischen Theaters, im Nebeneinander vereint sind Texte von Joseph Beuys und Arthur Schopenhauer, Interviewausschnitte von Merce Cunningham und Sasha Waltz. Und - last but not - least stehen Tanzszenen aus einem Hollywood Musical neben einer filmischen Installation von Bruce Naumann.

Das alles in einem einzigen Raum – bewusst assoziativ nebeneinandergestellt – und ergänzt durch Dokumente, die den Titel „In Räumen denken“ auf ganz besondere Art und Weise anschaulich machen: Selbstzeugnisse von Tänzern, Choreographen und Theoretikern: Choreographische Notizen von Sasha Waltz, eines von insgesamt 17 choreographischen Notizbücher von Dore Hoyer und Zeichnungen des Tänzers, Choreographen und Tanztheoretikers Rudolf von Laban. Ihre Fortsetzung erfahren diese Reflektionen über (Bühnen-)Räume heute auch im Internet – etwas bei ‚Synchronous Objects’ von William Forsythe, der Website von Merce Cunningham, animierten Tanzperformances speziell für das Internet etc. etc. Und natürlich wird auch die bildkünstlerische Annäherung an das Thema nicht ausgespart: etwa durch die Frankfurter Fotografen Dominik Mentzos und Dieter Schwer, die sich bildkünstlerisch auf ganz eigene Art und Weise mit den Tanzräumen von William Forsythe auseinandergesetzt haben.

Das alles in einem einzigen Raum: bewusst konkurrieren Texte, Bilder und Töne um die Aufmerksamkeit des Betrachters. Eine Art Formen- Bilder- oder Assoziationsspeicher menschlichen Denkens über Tanz – vielleicht aber auch eine Choreographie der Bilder, Ideen, Gedanken - aus der Sicht eines Zuschauers oder aus der eines Choreographen.

Aus diesem Grund haben die Kuratoren die klassischen Exponate einer Ausstellung in bewährter Weise wieder durch eine Rauminstallation ergänzt. Mit Elementen, die an den Arbeitstitel der Ausstellung „Die Vermessung der Welt“ erinnern aber auch die Aufgabe erinnern, die William Forsythe dem Architekten Nikolaus Hirsch für die Gestaltung von Teilen seiner Spielstätte in Frankfurt, dem Bockenheimer Depot mitgab: ‚How can we get people to react differently to this room?’ – Wie schaffen wir es, dass Menschen sich in diesem Raum (einem Theater-/Bühnenraum) anders verhalten, anders bewegen?

Und so ist es kein Wunder, ist es kein Zufall, dass am Ende der Ausstellung künstlerische Perspektiven auf den Raum zusammenkommen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: Die filmische Installation ‚Raumsehen und Raumhören’ aus dem Jahr 1973/74 von Valie Export, die demonstriert, wie Klang und Körper eine Beziehung im Raum eingehen und Begrifflichkeiten wie ‚Hörraum’, ‚Sehraum’ oder ‚Klang­raum’ visuell erfahrbar werden, wie Körper- und Tonbilder entstehen.

Die fotografische Installation von Andrea Esswein, die einen ganz anderen Weg geht: bewusst stellt sie den Tänzer Philipp Gehmacher vor eine weiße Wand und konjugiert mit ihm die Möglichkeiten des Ausdrucks in einer Art Gestenalphabet durch. Der Tänzer scheint keinerlei Beziehung zu dem Raum, in dem er steht, zu haben. Allein, mit den Bewegungen seiner Arme und Hände, mit seinen Gesten definiert er überdeutlich den tänzerischen Raum. Und tut dies in Sichtweite der Tänzerin Jone San Martin, wie sie der Fotograf Dieter Schwer 1999 aus einer besonderen Perspektive im Raum portraitiert hat.


Is this dance? Maybe. Why not?

Merce Cunningham sprengt den Raum der Ausstellung und weist darüber hinaus: analog zu dem Experimentalfilm „blue studio“ und in der Tradition der Tanzavantgarde der 1950er Jahre stellt er gemeinsam mit den Kuratoren beim Blick auf hin und hereilende passanten und beim Blick auf den Verkehrsfluss die provokante Frage „Is this dance? May be. Why not?“ Im Konzept des Tanzmuseums sind die Ausstellungen Anlass weiter zu fragen und zu forschen, nach Antworten zu suchen. Dies kann man im Archiv  aber auch in den begleitenden Veranstaltungen im Tanzmuseum tun, die das Thema der Ausstellung vertiefen und einem die Ausstellung danach noch einmal mit ganz anderen Augen zu sehen.

Eine Ausstellung in Worten zu beschreiben, hat seine Grenzen. Zum Glück! Ausstellungen sind – wenn sie gut sein wollen - denn doch mehr den Sinnen, dem Erleben mit Auge und Geist verpflichtet, als Seherlebnis, als Schule der Wahrnehmung angelegt. Ganz und gar nicht wissenschaftlich gedacht und auf eine  Überwältigung oder Belehrung des Besuchers aus sondern in erster Linie für die Augen geschaffen: für Menschen, die mit den Augen denken und mit dem Sehen fühlen.